Villa Vigoni-Thesen

Villa Vigoni-Thesen

 

Die Villa Vigoni-Thesen zur Lexikografie, verabschiedet im Dezember 2018 auf dem Workshop „Wörterbücher für die Zukunft – Die Zukunft der Wörterbücher. Herausforderungen an die Lexikografie in einer digitalen Gesellschaft“:

  1. Wörterbücher der Zukunft sind lexikalische bzw. sprachliche Informationssysteme, in denen die bestehenden lexikografischen Daten zusammengeführt sind, in denen Mehrsprachigkeit und sprachliche Varietät verankert sind und in denen die Menschen bei Wissenslücken eine Antwort sowie Unterstützung in Schreib- und Formulierungsprozessen von Texten finden.
  2. Lexikalische Informationssysteme müssen im öffentlichen Diskurs ein gewichtiges Thema werden. Das Bewusstsein für eine notwendig hohe Qualität des entsprechenden Online-Datenangebots muss in der Öffentlichkeit gefördert werden.
  3. Die praktische Lexikografie muss sich stets ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein und nach einer umfassenden, pluralistischen Beschreibung der Sprach– und Sachwirklichkeit streben. Dabei müssen die Abgrenzung des Gegenstandsbereichs und die selektiven lexikografischen Schwerpunktsetzungenkenntlich gemacht werden.
  4. Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen als unabhängige gesellschaftliche Institutionen müssen sich in die kritischen Diskussionen und Evaluationen lexikalischer Informationssysteme aktiv einbringen.
  5. Lexikografische Änderungen in Online-Informationssystemen müssen dokumentiert und aufbewahrt werden, so dass sie dauerhaft als Belegdaten für den wissenschaftlichen Prozess zur Verfügung stehen.
  6. Die Lexikografie braucht Partner und Verbündete: Die Lösungen und Herausforderungen für die Lexikografie der Zukunft verlangen mit Blick auf eine europäische Perspektive einen interdisziplinären Austausch zwischen Forschungsinstitutionen, Akademien, Verlagen und weiteren Vertretern des privaten Sektors.
  7. Eine wichtige Aufgabe der Lexikografie der digitalen Zukunft ist die geordnete Zusammenführung von automatisch aus Textkorpora erzeugten und gezielt aufbereiteten Daten sowie einer benutzerorientierten Präsentation. Die gesellschaftliche Relevanz solcher Informationssysteme wird gefestigt, wenn die zugrundeliegenden Korpora das gesamte sprachliche Diasystem spiegeln und für ForscherInnen frei zur Verfügung stehen.
  8. Die Wörterbuchforschung muss als Kulturwissenschaft verstanden werden, die die praktische Lexikografie, die Linguistik, die Informatik, die Buchwissenschaft und die Dokumentationswissenschaft in interdisziplinären Projekten zusammenführt.
  9. In einer modernen Informationsgesellschaft brauchen wir einen von der Wissenschaft vorangetriebenen Standardisierungsprozess für die metalexikografische Kernterminologie, denn eine gute Theorie bewirkt vielfältige Verbesserungen in der praktischen Lexikografie.
  10. Die wissenschaftliche Lexikografie soll vermehrt visuell kreativ sein, bezüglich digitaler Formate Experimente wagen und sich dabei das Interesse der Menschen an sprachlichen Fragen zunutze machen. Eine staatliche Förderung muss sich auf lexikografische Innovationen konzentrieren.
  11. Lexikografische Projekte sollen sich stärker an den spezifischen Bedürfnissen der BenutzerInnen (der Erst- und Fremdsprache, bei der Übersetzung u.a.) und deren sprachlichen Handlungen bzw. kommunikativen Absichten orientieren, denn Sprache ist Gegenstand der Lexikografie, und das Erlernen und Verstehen von Sprachen ist eine zentrale Kompetenz in der globalisierten Welt.
  12. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Benutzung der lexikografischen Informationssysteme sowie zur Unterrichts- und Übersetzungspraxis sollen verstärkt in den lexikografischen Prozess einfließen.
  13. Die Lexikografie ist gefordert, Konzepte für eine produktive Nutzerbeteiligung an lexikografischen Informationssystemen zu entwickeln.
  14. Das digitale Datenangebot in den Informationssystemen der Zukunft muss als wichtiges Hilfsmittel des lifelong learning angesehen werden, so dass die kritische Benutzung der Ressourcen als strategische Schlüsselkompetenz etabliert wird. Dies muss auch in der Aus- und Fortbildung von LehrerInnen verankert werden.
  15. Die Lexikografie braucht pädagogische Konzepte, um die Didaktisierung lexikografischer Informationssysteme leisten zu können. Dabei soll eine Einbeziehung der Medienkompetenz der BenutzerInnen erfolgen.